Die Vorteile der Nutzung von Industrie 4.0 liegen in der besseren Verfügbarkeit und Nutzung relevanter Daten durch die Vernetzung aller Wertschöpfungspartner sowie die Fähigkeit, aus den vorliegenden Daten zusätzlichen Wert und Kundennutzen zu generieren. Die EVVA ist europaweit einer der führenden Hersteller von Zutrittslösungen. Was heißt Industrie 4.0 bei EVVA und welche Rolle spielt das Thema Daten?
Kiel: Wir müssen den Kundenbedarf durch Konfigurationsmodelle und Plattformsysteme ermitteln, zu einem Auftrag entwickeln und an mehreren Produktionsstandorten mit Hilfe von Zulieferern abwickeln und dann wieder retour zum Endkunden führen. Diese Kette passiert bei uns auch noch auf internationaler Basis. Industrie 4.0 heißt für EVVA Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen und Produktionsketten, und hier sind wir schon seit den 70er und 80er Jahren aktiv. Industrie 4.0 ist aber nichts desto trotz aktuell ein heißes Thema für uns, das wir derzeit im Rahmen einer Digitalisierungsstrategie optimieren. Geschwindigkeit, Fehlerfreiheit und Kosteneffizienz sind dabei ganz wichtige Treiber.
BIM – eine Methode der optimierten Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden mit Hilfe von Software – ist die Industrie 4.0 der Baubranche und in aller Munde. Auch für ein erfolgreich durchgeführtes BIM ist die Qualität der Daten, die in das Modell hineinfließen, entscheidend. Was gilt es noch zu tun? Wo stehen Österreichs Branchenteilnehmer diesbezüglich?
Stadlinger: Zunächst möchte ich festhalten, dass BIM nicht auf die Baubranche zu reduzieren ist. BIM ist auch ein Betriebsthema. England steht bei einer BIM-Anwendung von 36 Prozent und hat einen Awareness-Faktor von 95 Prozent. Italien steht bei einer Anwendung von 13 Prozent und bei einem Awareness-Faktor von 34 Prozent. Für Österreich haben wir solche Daten nicht, aber ich befürchte, dass wir sogar unter Italien liegen würden, wenn wir sie hätten. Aus meiner Sicht liegt die Herausforderung vor allem darin, dass wir unser Wissen nicht teilen möchten. Im Gegensatz zu Industrie 4.0, wo die Daten immer einem Unternehmen gehören, geht es bei BIM darum, dass viele Bereiche miteinander zusammenarbeiten müssen und hier unterschiedlichste Daten miteinfließen. Wir müssen die Scheu davor verlieren, zusammen zu arbeiten! Die Notwendigkeit zur verstärkten Kooperation aller Projektbeteiligten in der Wertschöpfungskette wird hier zur Gretchenfrage und ist die Basis für erfolgreiche digitale Gebäudemodelle.
Eine aktuelle Studie der OECD sagt, dass die Digitalisierung der Wirtschaft Millionen Jobs bedroht, weil sie massiv in die derzeitigen Arbeitsmärkte eingreift. Demnach sind in Österreich ca. 12 Prozent der Jobs durch Automatisierung bedroht. Test Fuchs gehört zu den weltweit führenden Unternehmen im Bereich von Testsystemen für Luft- und Raumfahrt. Was sind die neuen Anforderungen an Mitarbeiter in der digitalen Wirtschaft?
Schilling: Ich kann Ihnen auch eine andere Studie zitieren, die sagt, dass durch die Digitalisierung Millionen Jobs geschaffen werden. Was sich ganz sicher verändert, sind die Jobprofile. Hier wird sich jeder bemühen müssen, die Anforderungen werden sich auch auf den Hierarchieebenen verschieben. Diesbezüglich haben österreichische Firmen höchst unterschiedliche Stadien, auf denen sie sich befinden. Es gibt jene, die den Begriff Industrie 4.0 quasi nicht mehr hören können, weil sie es bereits seit mehr als 15 Jahren betreiben und jene, die Angst haben und jetzt in eine Zwickmühle kommen, sich zu öffnen und sich bewegen zu müssen.
Was bedeutet dies in Bezug auf BIM? BIM betrifft alle Gewerke in der Bauwirtschaft: Von der Planung über die Ausführung bis zum Betrieb. Damit BIM funktioniert, müssen alle Teilnehmer am BIM-Prozess in einer gemeinsamen Sprache arbeiten. Das bedeutet Schnittstellen und Vorgehensweisen müssen einheitlich sein. Wie viel Angst haben die Vertreter der Baubranche vor dieser Öffnung?
Wagner: BIM bringt eine Prozessveränderung mit sich, damit tun sich viele schwer. Hier ist natürlich auch Angst dabei. Wie kann man diese nehmen? Eine Frage ist sicherlich, wie einfach die Systeme sind, mit denen zu arbeiten sein wird. Aufklärung ist auch bei jenen Firmen wichtig, die am Prozess beteiligt sind – also etwa Zulieferer, die heute mit BIM überhaupt noch nichts anfangen können. Weil sie aber auch nicht wissen, worin ihre Vorteile liegen, wenn sie mit einem Teilprozess in diesem System dabei sind. Darauf geht auch die derzeitige Aus- und Weiterbildung in Österreich nicht entsprechend ein. In Bezug auf die Ausbildung sind auch sind die starren Lehrpläne ein Problem: Man kann bei BIM keinen Lehrplan machen, der fünf Jahre gleich bleibt. Hier braucht es flexible Strukturen für die Anpassung von Lehrplänen, sonst sind die Absolventen völlig hinten nach, wenn sie ihre Ausbildung beendet haben.
Noch einmal zurück zum Thema Daten: Wie ist hier die Situation auf TGA-Seite?
Schindler: Gerade auf der TGA-Seite, die gemeinsam mit der Bauphysik ca. 40 Prozent vom Bauvolumen ausmacht, gibt es keine Daten. Es gibt einen Merkmalserver, der von der Bauseite bereits gut befüllt ist, bei der TGA-Seite gibt’s nur Überschriften ohne Inhalt. Hier brauchen wir die Unterstützung der Komponentenindustrie, damit diese ihre Komponenten in den Merkmalserver einpflegen. Aber der Schritt davor ist, dass für diese Komponentengruppen die Merkmale definiert werden. Und das ist bereits das Problem, da es in der TGA Komponentenindustrie keineInstitution gibt, die eine Zusammenfassung zwischen den Firmen machen würde. Das ist völlig strukturlos, zu den TGA Komponenten kommen dann noch die Anlagenbauer hinzu. Hier sehe ich eine große Herausforderung, denn wir arbeiten derzeit mit Software, die wir nicht effektiv einsetzen können.
Von Planern ist ja auch immer wieder zu hören, dass die Honorare für Baudienstleistungsaufträge nicht in dem Maß steigen, wie es aufgrund von sinkenden Preisen für Ausführende notwendig wäre. Glauben Sie, dass BIM daran etwas ändern kann? Wem bringt BIM Gewinn?
Schindler: Aufgrund der derzeitigen Honorarsituation von Planern tun wir uns auf Planerseite noch immens schwer mit BIM. Warum? Insbesondere auf EU-Ebene ist davon die Rede, dass die Herstellkosten mit BIM um 5 bis 10 Prozent sinken. Als Planer sind wir aber doppelt abhängig: Von den Herstellkosten und vom Planerhonorar, das einen Prozentsatz der Herstellkosten ausmacht. Wenn nun die Herstellkosten ohnehin aufgrund der wirtschaftlichen Situation bereits runtergehen, sinkt unser Honorar sowieso. Das heißt, wir sind derzeit schon in einer schwierigen Situation, die möglicherweise durch BIM noch verschärft wird. Gerade in der Phase der Planung und Entwicklung gehört aber ein Modell aufgesetzt und hier entsteht ein größerer Aufwand mit höherem Know-how-Bedarf – wenn hier keine Bereitschaft da ist, mehr dafür zu bezahlen, ist es naheliegend, dass die Planung sich hier schwer tut. Von TGA-Seite passiert daher noch relativ wenig, was aber dringend notwendig wäre, damit BIM tatsächlich umfassend, also bis in die Immobilien-Betriebsphase, funktioniert. Die Planung hat aus meiner Sicht den größten Teil von BIM zu verantworten. Das muss sich auch im Honorar widerspiegeln.
Die Immobilien- und/oder IKT-Dienstleister, die sich mit der Analyse und dem sinnvollen Verknüpfen der gesammelten Daten beschäftigen, werden die Gewinner der Entwicklung sein.
Laut einer 2015 durchgeführten PWC Studie wollen bis 2020 über 85 Prozent der österreichischen Unternehmen Industrie 4.0 Lösungen in allen wichtigen Unternehmensbereichen implementiert haben. Davon erwarten sie sich jährliche Mehrumsätze von fast 3 Milliarden Euro. Können Sie hier ähnliche Erfolge von Microsoft-Kunden vorweisen?
Erlach: Grundsätzlich sieht man, dass jetzt endlich etwas passiert. Die um Industrie 4.0 geführte Diskussion ist technologiegetrieben. Für Industrie 4.0 braucht man aber vor allem Mut und Fantasie. Österreich ist aus mehreren Gründen in Bezug auf Industrie 4.0, aber auch in Bezug auf viele andere Themen, in Europa Schlusslicht. Zum einen: In Österreich trauen sich wenige, etwas auszuprobieren. Wir haben, im Vergleich zu anderen Ländern, einen eher „evolutionären Zugang“ zu innovativen Themen. Wir sehen meist einen Ist-Prozess und schauen, wie wir diesen weiter verbessern können und nicht, wie wir es komplett anders organisieren und denken könnten. Etablierte Prozesse, bestehende Infrastruktur und bisherige Vorgaben hindern uns oftmals daran. Zum anderen spielen Innovationsmanagement und Methodenkompetenz in österreichischen Lehrplänen nahezu keine Rolle. Breite Gedanken über Geschäftsmodelle macht sich kaum jemand. Schließlich ist der Stellenwert der IT ein ganz schlechter, die wird aber immer wichtiger und muss auch hinauf zu den Entscheidern. Und kulturelle sowie gesetzliche Schranken, etwa im Hinblick auf flexible Arbeitszeiten, behindern durch starre Vorschriften viele innovative Modelle. Um aber positiv zu schließen: Österreich ist ganz sicher nachhaltig. Innovative Projekte werden dann auch entsprechend professionell und nachhaltig umgesetzt.